Während ich an den Schafen vorbei fahre, grüße ich diese natürlich. Freundlich wie ich bin gibt’s ein „Servus“ für das eine Schaf, ein „Habedere“ für das fluffige andere. Und ich bin gottsfroh, dass ich endlich eine Ablenkung vom elendigen Nachobenschrauben im kleinsten Gang mit schmerzenden Hintern habe. Endlich kein Asphalt, kein Lenkerblick, kein Grün am Straßenrand. Während ich weiterkämpfe höre ich es von hinten: Eines der anderen Teams kommt. Schon wieder. Ich hör es an den Ketten, am Atmen und am Knarzen des Rahmens. Das wievielte Team es auch sein mag, es fährt vorbei, links an mir. Ich habe keine Lust auf ein Gespräch und möchte den Blick nicht von meinem Asphalt lösen. Während die vier Fahrerinnen an mir vorbeiziehen gibt es gemurmelte „Hi“s und „Hey“. Am Anfang sagte noch eine jauchzend „See you at the top!“ was bei mir allerdings nur keuchendes Lachen hervorrief, ich gerne angehalten und Steine auf sie geworfen hätte. „I don’t think so…“ nuschelte ich dann und ließ diese Gruppe, welches Team das auch immer war, vorbeiziehen. Wieder gesehen habe ich das Team dann am Abend, im Ziel. Soviel dazu. Aber gerade ging es nur darum nicht durchzudrehen. Warum hatte ich eigentlich nochmal gedacht, es wäre eine gute Idee hier mitzufahren?
Die Einladung kam per Mail. Der erste europäische Rapha Prestige Ride würde stattfinden. Der erste Womens Prestige Ride – um genau zu sein. Also keine Männer, die im Affenzahn die Berge hochgallopieren. Dafür Frauen. Nun, das machte es nicht gerade besser. Aber mein seltsam funktionierendes Hirn sagte mir, dass es ja nur ungefähr 120km sein würden und das mit dem Höhenmetern – geschätzt waren 3.300 – würde ich doch auch noch hinbekommen. Ausschlaggebend war für mich aber ein Punkt: Es war kein Rennen sondern ein Radevent, um gemeinsam eine tolle Strecke zu bewältigen und den Radsport mit seinen schönsten Facetten zu feiern.
Was ist jetzt dieses Rapha Prestige eigentlich?
Früher hießen die Prestige Events nämlich noch „Gentlemen’s Race“. Aus dem einzigen Grund, dass es hier darum geht sich als Gentlemen zu verhalten und im Team gemeinsam einer unbekannten Route zu folgen, Erfahrungen zu sammeln und über die Grenzen zu gehen. Die Teilnahme ist nur im Team möglich. Immer 4 Personen ergeben ein Team, dessen Teamname und Vorstellung Teil einer Bewerbung bei Rapha ist, um beim Event dabei sein zu können. Rapha kümmert sich um die Organisation der Ausfahrt, um die Strecke und die Goodies. Pro Person zahlt man einen kleinen Unkostenbeitrag, was beim Rapha Prestige Dolomites 25,- Euro waren – für das kostenlose Abendessen und die Goodiebag inklusive Kappe fand ich das vollkommen in Ordnung. Es gibt, wie ich hörte, andere Rennen die horrende Summen verlangen für überlaufene Strecken und hässliche Teilnehmertrikots. Nein danke, Massenveranstaltungen mit hunderten von Radfahrern jagen mir eher Angst ein. Der Rapha Prestige ist jedoch eine andere Art an Event. Mit Checkpoints und Verpflegungsstellen ist man daher nicht ganz allein auf sich gestellt. Rapha definiert das wie folgt:
The Rapha Prestige is not a race; it’s an unsupported, unsanctioned, and unmarshalled adventure across stunning terrain, and designed to bring out the camaraderie and suffering of road riding. The rules are simple, and the course is tough. Team members must ride and finish together.
Unser Team – Team Chasing Moments
Ich kenne wenige Mädels, die Lust auf soetwas gehabt hätten. Meine Frage auf Instagram war daher einerseits offen, aber andererseits hatte ich schon Mädels im Kopf, die Lust auf sowas hätten. Entweder mit mir oder als eigenes, schnelleres Team. Franzi, Eirini und Madeleine wurden von mir getaggt und alle drei hatten Interesse und Lust. Auch wenn mir Franzi noch schrieb, dass sie soviel noch nie gefahren sei. Jetzt, im Nachhinein, muss ich lachen. Nie gefahren, gute Güte! Mit einer leichten Mandelentzündung ist sie mir problemlos davon gefahren!
Das Team ist wichtig, die Art und Weise, wie das Event angegangen wird sollte allen klar sein. Am besten ist es natürlich, man hat sowieso ein geschweißtes Team, das zusammen hält und in dem jeder weiß wie die andere fährt. Leider habe ich das Glück in München nicht, wäre allerdings sehr schön – egal ob Mädel oder Kerl, mir ist das Geschlecht da ja recht schnuppe, man muss einfach zusammen fahren können. Und deswegen habe ich von Anfang an klar und deutlich gesagt, dass ich das noch nie gefahren bin, sehr langsam am Berg bin und einige Pausen bei den Anstiegen brauchen werde. Und dass sie da mitgehen müssen ohne zu jammern. Zu meiner wirklich großen Freude sagten alle drei Mädels zu, das Team Chasing Moments – oder eher Team Chasing Marmots – war geboren, unsere Anmeldung ging raus. Und zwei Tage später kam die Bestätigung, wir konnten also anfangen mit dem Planen.
Die Ankunft, der erste Tag, die Nervosität
Ich hatte Schiss. Wirklich. Ich sah mir Videos an, die mir freundlicherweise Franzi auch schickte, und versuchte gelegentlich ein ernstes Wort mit meinen Beinchen zu reden. Dank der Arbeit und recht wenig Kraft nach 10 Stunden noch Rad zu fahren, saß ich wieder einmal kaum auf dem Rad. Distanz ist für mich kein Thema, lang geht immer. Aber diese Höhenmeter, die würden mich zerstören. Wir erhielten die Route erst am Tag davor – damit niemand heimlich trainieren konnte. Die Route war vielversprechend und ließ mich weinend vorm Computer „Wiesoooo“ in einer Endlosschleife jammern.
- 4 Pässe
- 120km
- 3.900 Höhenmeter
- Kein ebenes Stück, entweder hoch oder runter
- >>> HIER GEHT’S ZUR STRECKE
Während der Autofahrt nach Alta Badia, dort wo das Rapha Prestige Event stattfinden würde, überlegten wir und planten wir und teilten unsere Sorge. Vor allem weil Franzi, meine Fahrerin, eigentlich eine leichte Mandelentzüdung hatte und wohl nicht mitfahren würde. Das war blöd für sie und für mich, denn ich hatte Angst, dass mir die anderen zwei einfach davon fahren würden. In Alta Badia angekommen gafften wir erst einmal einfach nur die Berge an. Das grüne Drumherum, die pompösen Steinschönheiten, die da in den Himmel ragten. Ich war vom ersten Moment an verliebt.
Nach einem guten Abendessen und dem typischen Carboloading bereiteten wir uns in unserem Apartment vor, legten die Ausrüstung raus, überlegten ob wir die ganz langen Beinlinge oder Knielinge bräuchten, jammerten etwas über die 3 Grad in der Früh die anstehen würden und waren vorfreudig nervös. Also ich.
Race day ähm Prestige day!
Madeleine schaufelte sich am Frühstückstisch wach, ich bekam nichts runter. Dafür packte ich einen Riegel nach den anderen ein und meine Westberg-Gels. Beim Treffen im Hotel hatte ich dann allerdings im Trubel mit den ungefähr 72 anderen Mädels und Begleitpersonen noch Zeit ein paar kleine Kuchen zu essen. Ich sah ein paar bekannte Gesichter, dann stand das „Captains Meeting“ an. Warum ich Captain war wusste ich nicht, ich hatte das Ding organisiert und war daher wohl auch für alles andere verantwortlich. Nun gut, wenn der Captain Schlußlicht sein darf, warum nicht. Unser Team startete jedoch nicht als letztes sondern als drittes. Auf die Räder, fertig, los! Und der strahlende Sonnentag in den Dolomiten konnte beginnen.
Wir fuhren nach Garmin, ich hatte leider keines sodass wir „Garmin-Mädels vor!“ brüllten. Trotzdem verfuhren wir uns gerade am Anfang zwei Mal, was jedoch kein Drama war. Das kam erst, als der Pass Valparola auf dem Programm stand. Kleinster Gang für mich und ich haxelte gemütlich hoch, in der Hoffnung, dass die Leichtigkeit des Haxelns bleiben würde. (Auflösung schon jetzt: Nein, es wurde schwerer, die Beine wurden müde und die Anstiege wurden steiler.) Ich merkte sofort, dass wir auch heute auf sehr unterschiedlichen Leistungsniveaus fahren würden, aber hoffte, dass die schnellen Mädels ihr Tempo runterfahren würden. Das passierte nur bei gelegentlichem Warten und ich fuhr den größten Teil alleine hoch, mit einem sehr netten Fotografen plaudernd – oder wie man mein japsendes Reden sonst nennen konnte – und wurde immer und immer wieder überholt. Das hatte ich erwartet, aber es tat weh. Mein Team weg, ich sehr langsam und andere Teams gemeinsam fahrend kurbelten sich nach oben. Zum Glück wurde ich oben mit einem sagenhaften Blick belohnt, einem See, der türkis schimmerte und einer wunderbar kühlen und frischen Bergluft.
Der erste Verpflegungspunkt bietete Bananen, Cola, Wasser und lustige Gespräche an. Der erste Downhill, die erste Abfahrt, war ein Traum. Leider war ich hier letzte – wie immer – und konnte daher nicht voll ausfahren, was ich jedoch sehr gerne getan hätte bei den traumhaften Serpentinen. Nicht lang und ein neuer kleiner Anstieg kam. Wir hatten Madeleine und Eirini verloren – waren sie komplett vorgefahren? Franzi und ich warteten kurz, checkten das Garmin, als eine große Gruppe Italiener vorbeiradelte. „Ich habe eine große Tisch!“ brüllte der eine in Dauerschleife und alle anderen lachten, redeten und riefen uns „Ciao!“ entgegen. Ich mag das, ich mag das Grüßen und ich mag Italiener. Daher rief ich ein versucht strahlendes „Ciaooooo!“ zurück und erntete „Ah, que bellisima!“ was mir über den gesamten Tag half. Danke Jungs.
Der härteste Pass, das tiefste Tief
In Caprile lutschte Eirini dann Zahnpasta. Also Mint-Gel. Das wie Zahnpasta, wie schlechte, schmeckte. Wer erfindet denn bitte sowas widerliches? Da hätte ein Cappuccino geholfen, aber wir entschieden uns erst nach dem nächsten Pass die wohlverdiente Pause einzunehmen. Es ging weiter, aufwärts zum Pass Fedaia. Dem härtesten Pass in den Dolomiten. Und ich war, warum auch immer, an einem Punkt angekommen, an dem es echt nicht mehr ging. Die Schafe konnten mich noch ablenken, aber dann, als alle auf mich warteten, platzte mir der Kragen. Mich nervte es tierisch, dass sie alle vorfuhren. Dass niemand zurück kam und mich lahmes Stück Radlerin begleitete. Dass wir nicht als Team sondern als gestückelte Einheit fuhren. Ich sagte den Mädels, dass ich überlegte auszusteigen, damit die drei wenigstens ihr Tempo fahren könnten – mir würde das so keinen Spaß machen. Eirini meinte dann, dass sie an meiner Seite bleiben würde, hinter mir und mein Tempo fahren würde. Hierfür war ich ihr sehr dankbar, denn die nächsten Kilometer waren für mich sehr anstrengend. Mein Hintern tat weh vom langen Fahren, meine Beine waren müde und die Straße schien kein Ende zu nehmen. Während die drei Mädels hinter mir redeten und lachten verfluchte ich mich überhaupt hier zu sein. Eine Sonderbehandlung zu benötigen. Dafür extra fragen zu müssen.
Und dann, als der Pass Fedaia anfing, litten wir alle. Es war steil und gerade, die sowieso schon verdammt müden Beine gaben alles, aber es war eine Tortur. Gelegentlich überholten uns Radfahrer, aber in ihren Gesichtern stand das Leiden pur. Schmerzverzerrt und schwer atmend. Wir alle sehnten uns nach den Serpentinen. Also ich vermutete das, denn von Madeleine bekam ich die ganze Fahrt über so gut wie nichts mit. Die war vorne, fuhr ihr Tempo und wartete dann oben. Oder zwischendrin. Ich fand das sehr schade und habe das Gefühl, dass das alles viel schneller hätte gehen können für sie. Aber mir war das einfach egal, ich stand bei den blökenden Schafen und genoß die Aussicht. Das Leiden des Fedaia zeigt dieses Video das mir Franzi geschickt hatte, ganz gut und ich meinte, wenn sie diesen Pass einbauen würden, würde ich sterben. Nun, nicht ganz, es tat nur weh. Sehr sehr weh. Aber es war es wert.
Nur noch ein Pass, nur noch ein Pass
Der Fedaia Stausee war atemberaubend. Die Wolken tanzten auf den Bergen, die Luft war frisch aber so klar, wie sie nur Bergluft sein kann. Während wir dann zum Start des Sella Pass fuhren, wuchsen die Berge um uns rum. Links stand die Marmolada und ich hätte wohl ewig diese Schönheit anstarren können. Der höchste Berg der Dolomiten ist das Anstarren mit offenem Mund wert und alleine deswegen muss ich wiederkommen.
Der letzte lange Pass. Der Sella Pass. Wenig Steigung, dafür viele Serpentinen und recht lang. Je müder die Beine desto schwieriger ist es dann doch, ich arbeitete mich aber tapfer nach oben und schaffte es sogar am Anfang kaum Pausen einzulegen. Je höher wir kamen, desto schöner die Aussicht und desto müder die Beine. Die Sellagruppe stand über uns, majestätische Gesteinsberge und ich verstand, warum Pässe so toll waren. Ganz oben angekommen konnte ich dann nicht verstehen, wieso man sowas nicht mit dem Rad erkämpfen wollen würde. Diese Aussicht, diese Befriedung und Stolz hier oben angekommen zu sein mit diesem Blick – das alles habe ich mir erarbeitet.
Madeleine war kalt, sie wartete ja auch schon eine Ewigkeit da oben. Mir war das aber egal, ich wollte aufs Klo und die Aussicht genießen und ließ die Mädels dann vorfahren. Meine ersten Pässe lasse ich mir nicht nehmen, nur weil jemand nicht warten will. Und ich holte sie dann sowieso bei der Abfahrt ein, die mich als ich allein da runter sauste mal wieder jauchzen ließ. Mit einem „Yiiiiiiihaaaaaa“ fuhr es sich einfach besser. Die schönste Abfahrt von allen fand ich – die vom Fedaia war auf knappen zweiten Platz. Und jetzt noch hoch zum Grödner Joch, ein bisschen Höhenmeter die ich aber nicht spürte und leichter fand als alles andere. Oben wurde ich mit Jubelschreiben begrüßt: Die Jungs von Rapha warteten auf uns, das letzte Team, denn das Team hinter uns hatte aufgegeben. Es gab Highfives und dann mussten wir schon wieder weiter. Denn es wurde dunkel und kälter.
Ab zum Ziel, ab zum Alkohol
Wir bretterten tatsächlich die letzte Abfahrt runter, fuhren ein solides 42er Tempo runter und mit einem 39er Tempo dann in Alta Badia ein. Ein Fest, das Strampeln auf fast gerader Ebene war so leicht wie noch nie. Das Garmin schickte uns fies durch die Gegend und wir fluchten einen letzten steilen Anstieg mit maximalen 15,8% Prozent hoch, bis wir merkten wir mussten einen Schotterweg entlang. Ich freute mich, die Mädels nicht. Aber so kamen wir dann an, Ricky von Rapha erwartete uns jubelnd und wir waren im Ziel. Wir hatten es geschafft, ich hatte meine ersten Pässe bewältigt und die meisten Höhenmeter in meinem Leben gefahren. Und ich war abgrundtief, bis in beide Ohren in diese Berge verliebt.
Gemeinsam stießen wir auf unseren Rapha Prestige Ride an und zogen uns dann um, all die anderen Fahrerinnen und deren Begleiter und Freunde waren nämlich schon da. Mit Franzi setzen wir uns an den Tisch von einem reizenden italienischen Team, bei dem die Hannah von Rapha auch mitgefahren war. Wir redeten und lachten, genossen die müden Beine und das erschöpfte Gefühl. Es waren Engländer und Finnen da, Italiener und Wiener, Fahrerinnen aus Schottland und den Niederlanden. Es war multikulti, es war wirklich toll. Ich hätte mir gerne mehr Zeit mit all den tollen Mädels gewünscht – mehr Zeit in der ich nicht müde und glücklich vor mich hin grinsend auf das Essen wartete. Am Ende ist das jetzt eine Art Rennradfamilie geworden: Die Rapha Prestige Dolomites Familie. Und ich hoffe sehr, bald wieder mit einen von den Mädels zu fahren. Da werde ich dann vielleicht meine Rapha Laterne Rouge Kappe aufsetzen, die hatten wir uns ja doch irgendwie verdient, oder?
Ein großes Dankeschön geht an Podia.cc die uns mit einem Rabatt knallbunte Teamjerseys ermöglicht haben! Und dazu bekamen wir von The Athletic Community die passenden Socken gesponsert, vielen Dank auch hierfür.
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