Ampeln. Eine Erfindung, die man als kleines Kind schon lernt den Regeln entsprechend zu nutzen. Am Ende ist das Behilfsmittel Ampel, das es auch minder intelligenten Menschen ermöglicht lebendig eine von Nutzfahrzeugen befahrene Straße zu überqueren und die neue BILD gemäß ihrer Geilheit auf Boulevardinformationen zu erwerben, idiotensicher. Jedoch nicht farbblindheitsicher, das ist natürlich ein Manko. Dennoch, ein Großteil der Menschheit kann das starke Rot vom mindest genauso starken Grün unterscheiden. Beide Farben sind präsent, stechen auch bei Gegenlicht ins Auge während kleine Mücken das am Körper tun, und sind von Grunde auf phsychisch mit dem Gut und Schlecht verknüpft.
Rot: Stop. Grün: Los. Kleinkinder lernen das von Mami, Papi und dem schwulen Onkel Hans. Schulkinder lernen das in der Schule von der in Blümchenkleider gewickelten, zu strengen und dennoch Kinder liebenden Lehrerin. Man lernt das bei der Fahrradfahrprüfung, von der freundlichen in blähgrün gekleideten Polizei beim Nichtbeachten der Regel, durch lautes Hupen, Anfahren oder gar dem Tod, weil man bei Rot doch über die Ampel stackste. Letzteres bringt dann jedoch null Lerneffekt, daher lasse ich das lieber einmal aus und formuliere es in „Nahtoderfahrung“ um. Eventuell sogar mit chronisch-panischer Angst vor Ampeln. Man lernt es immer und immer und immer wieder, dass Rot bei der Ampel heißt, man solle stehen bleiben. Und Grün die Farbe der besoffenen Iren und der lebendigen Menschen ist, ergo man selber ergo darf man über die Straße schreiten. Gelegentlich mit einem betont lässigen Blick auf die genervt wartenden Autofahrer, deren Verständnis von Dunkelrot leider nicht ganz gereicht hatte und sie dann doch halten mussten.
Und dieses Halten, das ist etwas, das so manche Radfahrer einfach mit einem lässigen Schulterzucken abtun. Denn ein Radfahrer, oh so höret, ist weder das eine noch das andere. Für ihn gelten andere Regeln. Andere Welten der Verkehrsordnung. Andere Definitionen des Straßenverkehrs. Er, der Ortlieb-gesattelte, Trekkingrad fahrende, verblichenen Helm tragende, alle Straßen auswendig kennende, sportlich-geschmackslose Freizeitkleidung tragende Radfahrer, er hat seine Regeln. Seine eigenen aus der Radfahrwelt abgesegneten und über allem stehende Regeln. Und die besagt: „Fahr so, wie du meinst, dass es korrekt ist.“ und zwar direkt nach „Regeln sind da, um sie gebrochen zu werden. Auch wenn sie helfen würden, dass du dir nicht dank eines 40km fahrenden PKWs die Schädelknochen laut schmatzend brichst. Aber hey, your bike, your rules.“
Und so schreiten sie nun denn voran, um mit ihrem eigenen Regelwerk die anderen Radfahrer in die Kategorie „Verfluchte Radfahrerschweine, denen zeig ich’s“ der Autofahrer zu schleudern. Ein Stehen an der Ampel, am oftmals deutlich markierten weißen Streifen, der eine Grenze ziehen soll. Eine Grenze von Fußgängerbereich und Radfahrerstehbereich. Im täglichen Radwahnsinn kann es oft sein, dass man dort dann zu siebt steht – lauter Radfahrer, die auf dem Weg zur Arbeit oder von der Arbeit zurück oder ihre schreienden Kinder Gustav-Hendrikos und Schantalle-Hildegard in Obstverkäuferräder durch die Gegend chauffieren. Aber das ist ein anderes Thema. Alle stehen sie, in Reih und Glied, schwitzend, keuchend und wartend. Nicht so der erfahrende Radfahrer. Denn er wuselt sich durch die Gegend, schätzt ab, lässt seinen Blick schweifen, kalkuliert messerscharf und knödelt dann über die Kreuzung. Oder über die Straße. Oder in das nächste hupende Auto hinein, nur um dann sein Regelbüchlein zu zücken, dem sicherlich total falsch fahrenden Auto die Leviten zu lesen und sein Blutbach aus der Bauchgegend ignorierend.
Rote Ampel? Das ist eine Empfehlung. Er als Radfahrer muss sich daran nicht halten und all die Lemminge, die dennoch der irren Struktur der Straßenverkehrsordnung gehorchen, all jene, die nicht denken, dass die Ampel uns nur unterdrücken möchte… all diese Menschen, die stehen bleiben, wenn die Ampel Rot anzeigt, sind seiner nicht würdig. Könnten sie doch wie er um die Ecke denken und auch sehen, etwas was er natürlich kann. So kann er herankommende Autos oder Mopeds oder LKWs perfekt antizipieren und weiß, wann ein Rotsignal sinnlos und wann sinnvoll ist. Er ist der Master of ze Radverkehr. Die hupenden Autofahrer sind seine Fans, die ihn bejubeln, dass er gerade alles richtig macht. „Ja, sehr gut! Entfliehe der dir aufgedrängten Jocherei der Ampeln! Nieder mit den Regeln! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Könnte ich nur Radfahrer sein wie du…“ Das erklärt natürlich, warum dann die Lemminge-Radfahrer von Autofahrern belästigt, angefahren, angehupt, angeschimpft und nieder gemacht werden. Wir sind eine Schmach, wir sind das schwache Glied, unsere Intelligenz ist bezogen auf den Verkehr verschwindend gering.
Währed beim anderen die sonnengebleichten Ortliebtaschen im Fahrtwind glitzern, seine haarigen Beine mit gelegentlichen Alterskrampfadern im Stadwind wehen und er selbstsicher grinsend mit der randlosen Brille auf der Nase durch die Gegend fährt, brodelt es hinter ihm. Wir anderen, wir zücken unsere Säbel, befestigen die Baseballschläger und rasseln mit den Ketten. So nicht Freundchen, so nicht. Aber bevor wir auch nur annährend diesen Narzissten in eine Einbahnstraße drängen können, ist er auch schon wieder über eine rote Ampel gefahren – nur eben auch ein REWE-LKW im Morgenstress. Auf der Motorhaube wurde der beige Kakihosen tragende Regelhasser ein paar Meter in die falsche Gegend getragen, bis er flog. Für ein paar wunderbare Sekunden lang flog er.
Die Ampel wird grün, wir stecken unsere Schläger und Messer und Regelbücher wieder weg und fahren los. Vorbei an seinem demoliertem Rad, vorbei an seinen Überresten, vorbei an seiner aufgesprungenen Ortliebtasche, vorbei an einem dem Nervenzusammenbruch nahen LKW-Fahrer. Und ich summe leise „Ich sah dich vorüber gehen und bevor ich etwas sagen konnte wurdest du vor meinen Augen vom Lastwagen überfahren…“
Minimal zynisch. Ist das mit dem LKW wirklich passiert? Ich kenn das Ampelignorierverhalten hauptsächlich von Fahrradkurieren und manchmal von Studenten die auf ihren Klappermühlen etwas chaotisch und ungeschickt noch rechtzeitig zur Vorlesung kommen wollen. Ich find das Verhalten auch daneben. Man weiß nie wie gut andere Verkehrsteilnehmer reagieren und dadurch wird das Risiko nicht nur sich selber sondern auch andere zu schaden unberechenbar. Allerdings sind mir Leute mit gut geschulter Sinneswahrnehmung und Koordination trotzdem lieber als diejenigen völlig degenerierten Autofahrer, ohne Reaktionsvermögen und Wahrnehmung.
Ach die Luschen, zu denen komme ich auch noch. Ich kann nicht über alle in einem kleinen bissigen Beitrag läst-ähm reden. Aber klar, Anhalten an roten Ampeln oder das Folgen der normalen Straßenverkehrsordnung sichert niemals komplett ab, trotzdem hilft es grundsätzlich sicher unterwegs zu sein. Und nein, das mit dem LKW ist nicht passiert – noch nicht…
Sehr schön beschrieben, in Berlin leider vor allem in Mitte & Co eher die Normalität als die Regel… Ich befolge bestimmt auch nicht jede der Regeln, aber im Sinne des Gemeinwohls doch die meisten… Und dann gibt es mir ein klitzekleines gutes Gefühl anders als die Mehrheit zu sein und einfach mal vor einer roten Ampel zu chillen – und nicht nach der roten Ampel, wie so manche die dann nicht mitkriegen daß sie schon längst Grün haben während sie auf ihrem Fixie balancieren…
Normalerweise bin ich bei den Retweets von Kampradler-Watch immer etwas zwiegespalten, da es oft nur Hass aus der Autofahrer-Sicht an die Radfahrer ist. Deswegen war ich grad sehr positiv überrascht, dass hier ein weiterer Radfahrer schreibt. 🙂
Super Beitrag, hab mich sehr oft in deinen Gedanken wiedergefunden. Dein Blog ist jetzt abonniert – mit Radeln und Japan haben wir ja etwas gemeinsam.
Ach, das ist ja mal ein cooler Kommentar 🙂 Danke dir, welchen Retweet meinst du denn? Ich will ja nicht sagen, dass ich mir das rausnehmen darf zu ähm lästern, aber ein bisschen „normalisiert“ sich das Grantln schon, da ich ja selber tagtäglich im Irrsinn des Pendlerverkehrs fahre. Quasi ich hab mir das Grantln verdient 😉
Auch Japanfan? ❤
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Schwieriges Thema.
Ich bin auch einer der Menschen der eine rote Ampel (zumindest zu Fuß oder mit dem Rad) nur als Empfehlung sieht. Ich bleibe selten an einer roten Ampel stehen obwohl kein Verkehr herrscht, einzige Ausnahme ist wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin.
Ich finde es deutlich wichtiger dass man lernt den Verkehr zu lesen und zu entscheiden wann es gefahrlos möglich ist über die Straße zu gehen / fahren und sich nicht auf ein Ampelsignal zu verlassen.
Das heißt für mich dann aber eben auch, dass ich mich nicht in letzter Sekunde noch vor einem Auto über die Straße drücke sondern dass ich warte bis definitiv keine Gefahr besteht.
Jetzt lebe ich in einer eher ländlichen Region wo der Verkehr auch in den Städten nicht übermäßig hoch ist, wie das in München oder Berlin aussähe weiß ich nicht. Ich denke dort müsste ich mein Verhalten dann noch mal überdenken und ggf. an die Situation anpassen.
Gruß
Sascha
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Als ich eines Sonntag Nachmittag mit dem Fahrrad auf eine Kreuzung zufuhr fiel mir die ungewöhnliche lange Grünphase auf. Ich fuhr etwas verwundert und langsam auf die Kreuzung zu und sah links ein Auto das bei Rot stehengeblieben ist und auf Grün wartete. Die Ampel war offensichtlich defekt. Bis auf das eine Auto und mich war kein Fahrzeug zu sehen. Ich fuhr weiter, mich ständig umdrehend ob das auf Grün wartende Auto es auch endlich tut. Das Auto blieb stehen, wer weiß wie lange noch. Eine Ampel soll den Verkehr regeln, aber wenn du der einzige Verkehrsteilnehmer bist, um 3Uhr Nachts auf einer kaum befahrenen und einsichtlichen Kreuzung, da gibt es nichts zu regeln. Vielleicht unterhält man sich als Autofahrer gemütlich und wischt auf der neuen Smartwatch herum, während es draußen regnet und man auf Grün wartet. Ich fahre über Rot, wenn mir kalt ist, ich sonst niemanden sehe und offensichtlich keine Gefahr darstelle. Ich appelliere an die Eigenverantwortung und plädiere für Kreisverkehre. Gruß