Wahnsinn des Radalltags 2: Handzeichen am Arsch

Gedankenlesen. Eine Kunst, die so gut wie niemand beherrscht. Außer natürlich immer dann diejenigen, wenn man vor denen man gewisse Dinge verbergen möchte. Dazu zählen Situationen, in denen man heimlich den letzten Joghurt aus dem Kühlschrank stehlen will, die Spitzenunterwäsche aus der Schublade der Mutter ausleihen möchte oder frühmorgens aus dem Bett aufstehen muss, um in aller Ruhe ein Erdbeerkuchenstück mehr zu essen. Just in diesen Momenten drehen sich Köpfe, öffnen sich Augen, fragen lautlos Angeschlichene „Was machst denn du da grad?“ und man verflucht die anderen für ihr dämliches Talent des Gedankenlesens. Auf dem Rad in der Stadt würde ich jedoch alles und das Blut eines Lamms geben, um die Gedanken der jedoch gehirnamputierten Radlemminge lesen zu können. Nicht etwa um ihr Leben zu schützen, sondern um meines zu schützen. Und meine Nerven. Und meine verbale Contenance.

Die Stadt. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2016. Dies sind die Abenteuer der Radpendlerin Kirsch, die mit ihrem 7,5kg schweren Canyon Roadlite tagtäglich unterwegs ist, um fremde Straßen zu erforschen, neue Radwege und neues Leben. Viele Bildungsklassen vom gesunden Menschenverstand entfernt dringt Kirsch in Verhaltensweisen auf den Radwegen vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

Und ehrlich, die hat noch nie jemand gesehen. Oder andersrum: die erwartet man nie sehen zu müssen, diese Verhaltensweisen. Eine fast schon unverschämte Dummheit, die sich denkt mit den zwei Gehirnzellen versehen trotzdem das Rad nutzen zu dürfen, um auf den Radwegen der Stadt München von A nach B zu gelangen. Der Radfahr-Führerschein war wohl im Lotto gewonnen. Das Verständnis der Handzeichen in die Schublade „Für Weicheier“ gestopft. Das überhebliche Lachen ob eines ausgestreckten Arms, um ein Abbiegen anzudeuten, war neben dem leer-dummen Sabbern der alltägliche Gesichtsausdruck. Denn schließlich galt und gilt: Wer auf dem Radweg ist, ist kein Auto. Und wenn die Fahrradmacher gewollt hätten, dass man das Abbiegen anderen Verkehrsteilnehmern mitteilt, dann hätten sie sicherlich die Möglichkeit der Lichtsignalisierung eingebaut. Sind ja nicht dumm, die Fahrradmachermenschen. Und weil die nicht dumm sind, man selbst aber das Denken in dem gesellschaftlichen Rahmen „Die werden’s schon wissen“ abgegeben hat, schwänzeln auf den Radwegen ganze Gruppenansammlungen an zurückgebliebenen Vollidioten umher.

Auf Radwegen wird gefahren. Keine 30km/h, aber auch keine 2km/h. Nun, gelegentlich schon, aber diese werden recht schnell aussortiert, weil sie rückwärts rollend schneller an Ort und Stelle wären und damit irgendwann das Rad Rad sein lassen werden. Da schließlich auf den Radwegen zusätzlich auch oftmals nicht nur zwei Menschen auf den Drahteseln sondern gelegentlich mehr Menschen unterwegs sind, kann man von Verkehr sprechen. Nein, nicht Sex, sondern Straßenverkehr. Wenn bei denen der Sex so abläuft wie deren Handzeichen – ergo nie – , dann wundert es mich oftmals nicht, warum manche Menschen so verdammt frustiert durch die Stadt fahren. Und sich vielleicht deswegen ohne Handzeichen vor den nächsten Stadtbus werfen. Alles fügt sich also doch zusammen.

Zurück zum Radweg. Dieser zweigt sich oftmals, gelangt zu Ampeln, ermöglicht das Abbiegen, wird gezäumt von Geschäften, Arztpraxen oder anderen Adressen, zu denen möglicherweise ein Radfahrer überhaupt erst hin unterwegs ist. Nur, und hier kommt das Problem, fährt er nicht alleine auf dem Radweg. Ist kein Sicherheitsabstand von 200 Metern zwischen einem und dem nächsten Radfahrer. Wird kein Lichtlein brennen, wenn denn abgebremst wird, links oder rechts abgebogen werden soll. Wenn ein Radfahrer auf dem Radweg fahrend entscheidet abrupt nach rechts abzubiegen und abzubremsen, dann tut er das. Komme was da wolle. Ob das der Radfahrer hinter ihm ist, der da gekonnt in sein Hinterrad fährt. Oder der Radfahrer rechts von ihm, in dessen Fahrspur er einfach reinbremst und sich die Räder liebevoll umarmen. Oder der Radfahrer schräg hinter ihm, der, um einen Auffahrunfall zu vermeiden abbremst und ausweichen muss, nur um mit einem schmerzhaften Ruck von hinten getroffen zu werden, da auch hinter ihm der ein oder andere Fahrer war… Diese Situationen zeigen einem, dass man gerne in diesem Moment statt einem Rad eine Walze fahren möchte. Die einfach über den Handzeichenlosen Radvergewaltiger hinüber fährt, gerade so, dass man ein leichtes Rumpeln spürt und sich fragt „War da was?“.

Das sollten sich viele der Radfahrer fragen, die an Ampeln quer abbiegen. Nicht gerade aus weiter fahren oder nach rechts auf dem Radweg fahren, sondern links über die Kreuzung möchten, müssen, dürfen. Deren Angestelltenstatus kann und will ich hier nicht diskutieren. Während man also geradeaus fährt und der gemütlich vor sich hin pedalierende Andere vor einem ebenfalls geradeaus fährt, kann man sich der Illusion hingeben heute noch lebendig oder ohne Adrenalinschock und verbalem Ausfall in die Arbeit zu kommen. Nur, der Gemütliche hat soviel Gemütlichkeit in sich, dass es entweder ein gewisser Pegel sein muss oder eine verlockend labile Leere. Denn auf ein Schwenken hin nach links, als hätte er vergessen, dass er links müsse, folgt ein metallenes Knirschen, als ein anderer Radfahren ihm eine Kopfnuss verpasst und sein Rad Speichentauschen spielt. Dabei hätte ein linker Armwink gereicht. Aber Handzeichen am Arsch. Dabei wär er doch einer.

Nicht nur auf dem Radweg sondern auch – seien wir mal ehrlich – auf jedem Weg, auf dem es Verkehr gibt, ist um Rücksicht geboten. Wenn ein Radfahrer bei einer Kreuzung plötzlich ohne jegliches Zeichen links abbiegt, dann gibt es für den Porschefahrer, der vielleicht etwas zu schnell unterwegs war dennoch 50 EXP, wenn er den Radfahrer auf die Motorhaube nimmt. Wer nach rechts abbiegt, der zeigt auch anderen Radfahrern, die es ja immer alle so irrsinnig eilig haben, dass rechts überholen jetzt dann doch recht fatal wäre. Wer in einen Unfall gerät, der hat nie Glück. Aber wenn ein untergewichtiger, Polohemd tragender, Bügelfaltenhosen hochziehender, in spitze Lederschuhe geschnürter, kahlköpfiger Schayenne-Fahrer sagt „Ich hätt‘ den nie erwischt, ich bin ganz vorsichtig vorbei mit so 20km/h, ehrlich, aber der ist dann total urplötzlich links abgebogen – das erwartet doch nie jemand bei Kreuzungen – und das alles ohne Handzeichen, da konnte ich nix tun, also auf 80 Sachen beschleunigen und ihn wie einen nassen Sacken durch die Luft schleudern. Verstehen Sie?“ worauf der Beamte brummend antworten würde „Verstehe, verstehe. Ich würde also sagen Komplettschuld hat der im Koma liegende Idiot, nicht‘ wahr?“ worauf beide die Köpfe in den Nacken werfen und inbrünstig lachen würden. Mahahaha.

„EY, wie DUMM kann man denn sein, hä?“ rutschte mir raus, als mein Vorderrad gegen das Hinterrad eines kleinen Studenten rutschte. Der überholte mich auf dem Gehweg, scherte vor mir ein und kam dann zu dem Entschluss, dass er jetzt gerne Kaugummis auf dem Gehweg zählen wollen möchte. Auf jeden Fall hielt er einfach an und schwenkt dann nach rechts. Er schaute mich groß an, offener Mund, was nicht gerade Intelligenz versprach, geschweige denn die Hoffnung, dass dies ein einmaliges Versehen war. Um ihm zu helfen schnauzte ich daher freundlich „Nimm doch deine Hand her oder so, ich seh doch sonst nicht wohin du willst“ und dankte mir und meinem Rad und dem Wetter dafür, dass es mir mein Vorderrad nicht weggerissen hatte. Dann hätte ich den Asphalt geknutscht und der Typ hätte wohl meine Hand geknutscht, beides eher mit schmerzhaften Ausgang. „Jaaa… n schönen Tag dir auch…“ nuschelte der kleine Student und ich hoffte, dass er irgendwann das Skateboarden ausprobieren würde, nur um dann mit brachialer Gewalt auf ein Geländer Schritt voran zu brettern, was ihm die Möglichkeit der Fortpflanzung rauben würde. Aber vielleicht sollte ihm jemand sein Fahrrad rauben, das würde die Straßen ein kleines bisschen sicherer machen. Oder vielleicht könnte er lernen, bei roten Ampeln weiter geradeaus zu fahren… Das kann sich auch als gute Lösung herausstellen.

10 Antworten zu “Wahnsinn des Radalltags 2: Handzeichen am Arsch

  1. Mein Puls fängt direkt wieder an zu rasen. Ich bin eigentlich ein freundlicher Mensch, aber auf dem Rad fahre ich oft (aber ungerne) aus der Haut. Wieviel man für die kopfleeren, debil grinsenden mitdenken muss, macht den Arbeitsweg auf dem Rad manchmal ganz schön anstrengend. Auf einer Strecke von 6 km liegt mein Rekord bei 4 Vorfahrtsdelikten (also nicht ich, die anderen -ich hätte Vorfahrt gehabt) und 2 Fußgängern, die ohne zu schauen durch parkende Autos hindurch auf die Straße springen und mich (MICH!) dann auch noch wüst beschimpfen, warum ich nicht klingeln könnte. Ähm…

    Den aggressiven Klang Deines Textes kann ich also nachvollziehen 😉

    Gesundes Pendeln Dir weiterhin!

  2. Ich kann deinen Unmut verstehen, allerdings muss man sich auch mal in die anderen hineinversetzen. Wer keinen Radsport betreibt und damit nicht (auf dem Rad) sozialisiert wurde, der weiß auch eben einfach nicht, wie man sich richtig verhält (von den „Basics“ mal abgesehen). Bei vielen kommt dann auch noch eine gewisse Unsicherheit auf dem Rad hinzu und schon hast du deinen „Arschlochradfahrer“.
    Klar, es ist anstrengend immer für die anderen mitschauen und -denken zu müssen und es ist noch ärgerlicher, wenn es zu einem Unfall kommt, aber eigentlich können wir doch froh sein über jeden der regelmäßig mit dem Rad fährt. Das stärkt schließlich auch unsere Lobby.

    • Wenn der Puls rast und man einfach nur noch Dinge werfen möchte, dann denkt man daran in dem Moment natürlich nicht. Das stimmt, allerdings sind diese Arschlochradfahrer auch gerne mal der Tropfen, der das Fass beim Autofahrer zum Überlaufen bringt. Und ein grundsätzliches Maß an Vorsicht und Mitdenken und Rücksicht ist lebensnotwendig, wenn man im Verkehrt (hihi) aktiv ist, aber man kann leider nicht alle Idiotie damit ausgleichen. Daher würde ich mir auch wünschen, dass andere noch nicht allzu Rad-sozialisierte Menschen die Chance erhalten die Gefahren zu verstehen und zu lernen, wie sie selbst denn diese vermeiden könnten. Wie das ganze Brimborium mit dem Radverkehr so läuft – auch in deren Sinne. Und in meinem, ich mag mein Rad und mag Unfälle nicht so wirklich 🙂 Aber ich bin (meistens) lieb, meistens. Rad-Lobby FTW!

      • Ich bin eigentlich auch geduldig. Manchmal hat man aber auch einfach so Tage wo eh schon nix klappt und dann kommt einem noch jemand doof oder es gibt fast n Unfall weil einer nit aufpasst und dann .. ausrasten!
        Also kann das voll und ganz nachvollziehen, wollte nur einen kleinen Denkanstoß geben 😉

      • Denkanstöße sind super, nur nicht zu weit, sonst passiert noch ein Unfall 😉
        Mal sehen was im nächsten Blogpost meine Nerven zum Beinahe-Zerreißen bringt, die Fräuleins mit Kaffee-Becher, Musik in den Ohren und Handygeplärre verdienen ja auch mal etwas Aufmerksamkeit, kennst du die vielleicht auch? 🙂

  3. Also ich fühl mich hier nicht angesprochen 😀 Ich fahr nur radikal, wenn ich merke das Andere zu blöd sind 😀 Radweg Feeling kenne in nicht, wohne auf dem Land und fahre zu selten mit dem Bike durch die City. Kann deine Reaktion aber vollkommen nachvollziehen 😉 Ich habe vor kurzem mit der nicht vorhandenen Schwarmintelligenz des Menschen Bekanntschaft gemacht. Sprich eine Gruppe Nordic-Walker die den ganzen Weg für sich beanspruchen und nicht grüßen und direkt dahinter noch eine Gruppe Läufer die das Gleiche machen. Von den Läufern habe ich beinahe eine platt gefahren (mit dem Crossbike versteht sich). Musste aufs Feld!!!! ausweichen, so ein 3,50m Forstweg kann ja doch mal eng werden. Hätte ich sie erwischt…..es wäre eskaliert. Ich hätte bis zum letzten Rest gekämpft um soviele wie nur möglich von ihnen auszuschalten xD als wenn das nicht genug gewesen wäre, nimmt mir danach noch eine Göre mit ihrer Klapperkiste die Vorfahrt. Absichtlich!!!!! Das M….stück 😀 hat mich gesehen, sogar zweimal geschaut und zieht voll raus. Unfassbar.

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