Crossliebe: „Stop and Stare“

Crossen ist Radfahren – und dabei doch soviel mehr. Denn es werden einige Dinge dabei rausgenommen, weggeworfen, verbannt und dafür soviel schönere Dinge hinzugefügt, auf dem Weg aufgesammelt und verschnörkelt. So verschnörkelt, dass man das Crossen schon fast als romantisch bezeichnen könnte, würde man dabei nicht oft mit einem leicht debilen Grinsen durch die Gegend fliegen und innerlich wie ein Meerschweinchen vor sich hin kichern. Allein das schon zu beschreiben raubt dem Moment jegliche Romantik und das ist recht gut so, denn sonst würde das Crossen im Saft der eigenen Romanze ersaufen. So viele Schnörkelmomente gibt es nämlich beim Crossen.

Aber wie wir es kennen fliegen Momente eben oft vorbei, so schnell, dass wir sie oft garnicht wahrnehmen können. Wollen? Können. Aber ein bisschen wollen ist auch immer wieder dabei, denn der geschäftige Mensch ist eben geschäftig beschäftigt. Ein Trend, denn beschäftigt zu sein ist in, ist cool, ist gesellschaftlich angesehen. Auch wenn man dabei sich selbst Stückchen für Stückchen verliert, Zeit mit sich selbst und Dingen, die einem gut tun verliert, Lebensmomente wie eben Schnörkelmomente auf dem Rad verliert. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich verliere ungern Dinge im Tausch gegen nichts. Vor allem wenn dieses Nichts mir nicht gut tut. Und deswegen sollte man diese fliegenden Momente wahrnehmen.

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Das geht mit dem Crossen recht einfach. Man hält an. Stoppt das Treten, das Pedalieren, das Vorwärtsbewegen und bleibt für diesen einen Moment stehen. Man sieht den Morgennebel in der Waldlichtung fliegen, wabern, Waldstücke verstecken. Blätter fliegen seichte durch die kühle Luft, drehen Pirouetten, tanzen gen Waldboden. Wassertropfen spiegeln das Grün des Waldes wieder, glitzern auf Kleeblatt, Moosflächen und Farnen. Baumstämme, so einzigartig wie sie selbst, stehen nah bei einander, strahlen eine Wärme aus, die sich auf der gemusterten Rinde voller warmer Brauntöne zeigt. Verzweigte Zweige halten die von grün über gelb bis rot gefärbten Blätter im seichten Waldwind schaukelnd fest, lassen gelegentlich das ein oder andere Blatt frei, farblich bunter Waldhimmel, der im Nebel unecht zu sein scheint und in der Stille voller, größer und weicher wirkt, als er es ist. Die Luft ist kühl. Der Morgennebel fliegt. Die Blätter tanzen. Farne glitzern. Die Luft ist voller Waldduft, voller Moos, Harz, Blätter, Herbstblumen, Holz, Erde, Morgenfrische. Momente wie warme Hände, die einen berühren, kalte Nasen beim Kastaniensammeln, der Duft nach sich nähernden Herbstregen, der Strauß bunter Blätter in der Hand, der Geschmack von fleißig gesammelten Bucheckern, das Zwitschern der Vögel im vom Nebel erfüllten Wald, die wärmende Sonne bei goldenen Blättern, das Pflücken eines bunten Waldblumenstrauß, das Wärmen der Wangen in der Herbstsonne, das Knirschen der Kieswege unter den Füßen…

Und dann, das Herz voller Momente, voller Gefühle, voller Glück, klickt man wieder an und fährt weiter. Nimmt den Moment, der so einzigartig ist wie alles da draußen im Wald, auf den Wiesen, an den Seen und Flüssen und Bergen und Tälern und Dörfern, einfach mit. Hat ihn im Herzen und trägt ihn weiter, den Moment, lässt ihn einen selbst erfüllen, erwärmen, ergänzen und das innere Kichern etwas verlängern. Während man so über die Kieswege, über die Schotterpisten, über die Trails und über die Waldwege fliegt, trägt man diesen Moment weiter und ist im Hier und Jetzt. Und dann, dann kommt der nächste Moment. Die Berge öffnen sich einem weit am Horizont, weit entfernt und doch so nah, dass man die Hand ausstreckt und die Berge liebkosen möchte. Mit ersten Schneeflecken, mit zarten Ausfransungen bei den Konturen der Berge, bei dünstlich blau-lilanen Himmelsfarben, mit grün-bunten Konturen der Wiesen und Wälder und Hügel davor… man atmet tief ein und ein Gefühl, das man wohl nicht anders als Dankbarkeit bezeichnen kann, macht sich in einem breit. Die Hände sind etwas kalt, das wärmende Buff am Hals ziehst du über das kalte Kinn, die brennenden Wangen sagen dir, dass es wirklich schon Herbst ist, die Beine pochen von den Höhenmetern, dein Lächeln bemerkst du garnicht, während du anhältst und starrst. Und daheim, daheim hast du die Erinnerung der Momente und den Blumenstrauß, den du im Wald gepflückt hast. Und auch da hältst du manchmal inne und schaust einfach.

Crossliebe. Stop and stare.

Eine Antwort zu “Crossliebe: „Stop and Stare“

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